Kiel, den
12.12.2003
Vorab per
Telefax: 0 18 88 / 3 05 32 25
Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
z.H. Herrn Dr. Dieterich
Heinrich-von-Stephan-Straße 1
53175 Bonn
Gleichlautend
vorab per Telefax: 0 3 83 01 / 8 61 50
Bundesamt für Naturschutz
z.H. Herrn Dr. von Nordheim
Insel Vilm/Rügen
18581 Putbus
Sehr
geehrter Herr Dr. Dieterich,
sehr geehrter Herr Dr. von Nordheim,
aus Zufall
haben wir von Ihrem Vorhaben erfahren, in der Ausschließlichen
Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland besondere Schutzgebiete für
das Europäische Netz "NATURA 2000" auszuwählen, an die Europäische
Kommission zu benennen, auszuweisen und zu geschützten Teilen von Natur
und Landschaft zu erklären. Durch Zufall haben wir ferner von der Anhörung
dazu am Donnerstag, 11.12.2003 in Rendsburg Kenntnis bekommen.
Informationen über den Arbeitskreis Eigentum und Naturschutz, seine
Mitgliedsverbände und deren Mitglieder entnehmen Sie bitte dem beigefügten
Faltblatt. Anläßlich der Anhörung in Rendsburg habe ich gebeten und
beantragt, uns eine Abschrift des Wortprotokolls zuzuleiten. Dem wurde
Ihrerseits nicht widersprochen.
Ohne daß
damit ein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden wäre, möchten wir doch
für die hier zusammengeschlossenen Verbände und deren Mitglieder folgende
Anregungen und Bedenken äußern:
-
Die
Zuständigkeit des Bundes für Auswahl, Benennung, Ausweisung und
Schutzerklärung besonderer Schutzgebiete für das Europäische Netz NATURA
2000 mag in § 38 Abs. 2 und Abs. 3 BNatSchG vorgegeben sein. Wir halten
sie gleichwohl verfassungsrechtlich für bedenklich.
In Art. 87
GG, den Herr Dr. Lütkes in der Anhörung zur Begründung der
Bundeskompetenz herangezogen hat, ist von den vorbezeichneten
Rechtshandlungen als Gegenstände der bundeseigenen Verwaltung keine
Rede. Wir sind deshalb der Ansicht, daß es gemäß Art. 83 GG beim
Grundsatz der Länderexekutive bleibt.
Dieser
Grundsatz ist in § 33 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG für die Auswahl der NATURA
2000 - Gebiete innerhalb des Hoheitsgebietes verwirklicht. Dies zeigt,
daß die europäischen Richtlinien innerstaatlich sehr wohl durch die
Länder umgesetzt werden können und müssen.
Soweit
eine Verwaltungstätigkeit außerhalb des Hoheitsgebietes bislang geregelt
wurde, gibt § 136 des Bundesberggesetzes ein Beispiel. Für den Bereich
des Festlandsockels, der sich in weiten Teilen mit dem hier
interessierenden Bereich der Ausschließlichen Wirtschaftszone deckt,
werden dort ebenfalls die Verwaltungsaufgaben den zuständigen
Landesbehörden zugewiesen und § 137 Abs. 1 Satz 1 BBergG regelt die
Zuständigkeiten der Länder weiter nach dem Äquidistanzprinzip.
Das
Problem der Zuständigkeiten in der Ausschließlichen Wirtschaftszone ist
also nicht neu. Vor diesem Hintergrund die Ausnahmevorschrift des Art.
87 GG heranzuziehen, bedarf also jedenfalls besonderer Begründung. Eine
solche Begründung ist bislang nicht erkennbar und wurde auch anläßlich
der Anhörung nicht gegeben.
-
Das
gewählte Verfahren ist zu rügen:
-
Auf
meine entsprechende Frage hat Herr Dr. Lütkes geantwortet, daß für die
Schutzerklärung nach § 38 Abs. 3 BNatSchG eine erneute
Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vorgesehen sei. Die tatbestandliche
Wendung "im Rahmen der Abs. 1 und 2" in Abs. 3 des § 38 BNatSchG sei
dahingehend zu verstehen, daß lediglich eine Anhörung bekannter
Betroffener erfolge, insbesondere solcher, die eine bereits
innegehabte rechtliche Position gegen Beschränkungen der
Schutzerklärung verteidigen.
Dies
genügt aus unserer Sicht nicht. Erst die Schutzerklärung nach § 38
Abs. 3 BNatSchG beschränkt Nutzungen und zwar entweder indem
bestehende Nutzungen gemindert oder gar entzogen werden, oder indem
noch nicht bestehende aber sich jetzt oder später aufdrängende
Nutzungen unterbunden werden.
Diese
Beschränkungen sind bislang nicht benannt worden. Zu etwas, was nicht
benannt worden ist, kann keine qualifizierte Stellungnahme abgegeben
werden.
Die
Beteiligung der Öffentlichkeit im Rechtssetzungsverfahren nach § 38
Abs. 3 BNatSchG halten wir angesichts der in der Ausschließlichen
Wirtschaftszone mit dem Seerechtsübereinkommen eröffneten
Erwerbschancen für unbedingt erforderlich.
Hilfsweise bitten und beantragen wir,
uns im
Rechtssetzungsverfahren nicht anders zu behandeln, als
Naturschutzverbände und bekannte Betroffene, uns also insbesondere
den Entwurf der Schutzerklärung zur Stellungnahme binnen
angemessener Frist zuzuleiten.
-
Es hieß
in der Anhörung, bereits zu Beginn des nächsten Jahres sollten die
Gebietsvorschläge der Europäischen Kommission zugeleitet werden.
Innerhalb des bis dahin verbleibenden nur kurzen Zeitfensters ist eine
ökologisch-fachliche Stellungnahme nicht zu leisten. Selbst wenn die
von Ihnen auf heute zur Stellungnahme gesetzte Frist keine
Ausschlußfrist sein sollte, besteht faktisch aufgrund der herbstlichen
Jahreszeit keine Möglichkeit, einen Informationsstand herbeizuführen,
der eine wirkliche Überprüfung der vom Bundesamt für Naturschutz
zusammengetragenen Daten möglich macht.
-
Die
Standarddatenbögen zu den Gebietsvorschlagen liegen offenbar bereits
ausgefüllt bei Ihnen vor. Sie waren nicht Gegenstand der
Öffentlichkeitsbeteiligung.
Dabei
besteht Einigkeit, daß die Standarddatenbögen zum einen der
Bezugsrahmen sowohl für die spätere Beurteilung der Auswahlwürdigkeit
sind sowie zum anderen Grund und Grenze von Beschränkungen im Rahmen
der Schutzerklärung festlegen. Die Standarddatenbögen haben also eine
besondere Bedeutung für die Einschätzung der Folgen des Schutzes. Ihre
Kenntnis und Diskussion ist für ein ernstzunehmendes
Beteiligungsverfahren unbedingt erforderlich.
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Es muß
verfassungsrechtlich hinterfragt werden, ob eine Schutzerklärung, die
mit Nutzungseinschränkungen jedweder Art verbunden ist, eine
ausreichende Rechtsgrundlage hat.
-
Es dürfte
Einigkeit darüber bestehen, daß das Seerechtsübereinkommen und sein
Transformationsgesetz keine solche Rechtsgrundlage bilden. Das
Seerechtsübereinkommen und mithin auch das Transformationsgesetz regeln
die Rechte des Völkerrechtssubjektes der Bundesrepublik Deutschland
gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten und deren Mitglieder. Das
Seerechtsübereinkommen und sein Transformationsgesetz enthalten aber
keine Ermächtigung für Eingriffe in die Grundrechte der in der
Ausschließlichen Wirtschaftszone tätigen Bürger.
Auch § 38
Abs. 1 BNatSchG i.V.m. der Schutzerklärung nach § 38 Abs. 3 BNatSchG ist
eine solche Rechtsgrundlage nicht. Die in § 38 Abs. 3 genannte
Rechtsverordnung bedarf nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bekanntlich einer
nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmten Ermächtigung im
Gesetz. Daran fehlt es in § 38 Abs. 1 BNatSchG, weil die Vorschrift
nicht regelt, welche Beschränkungen zulässig sind, sondern nur, welche
Beschränkungen unzulässig sind. Das ist ein erheblicher Unterschied,
weil sich angesichts der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten naturgemäß
nicht im Umkehrschluß aus dem, was an Beschränkungen unzulässig ist,
bestimmen läßt, was zulässig sein soll.
Im übrigen
kann auch § 38 Abs. 1 BNatSchG als ein nach § 11 Satz 1 BNatSchG
unmittelbar geltendes Bundesgesetz eben nur im Bundesgebiet, im
Hoheitsgebiet des Bundes gelten. Das Hoheitsgebiet des Bundes, auch
gegenüber seinen Bürgern, ist aber bislang seewärts durch die 12
Seemeilen - Grenze bestimmt. Außerhalb des Hoheitsgebietes kann das
Grundgesetz eine Geltungsgrundlage für darauf gestützte Bundesgesetze
nicht sein.
Aufgrund
des hierarchischen Stufenbaus der Rechtsordnung entfällt mithin auch die
Geltungsgrundlage für die Rechtsverordnung nach Abs. 3 des § 38 BNatSchG.
-
Wir haben
in der Anhörung darauf hingewiesen, daß das Bundesverfassungsgericht
folgendes entschieden hat:
"Der
Gesetzgeber hat seine materiell-rechtlichen Ausgleichsregelungen
deshalb durch verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften zu
ergänzen, die sicherstellen, daß mit einem die Eigentumsbeschränkung
aktualisierenden Verwaltungsakt zugleich über einen dem belasteten
Eigentümer ggf. zu gewährenden Ausgleich entschieden wird; bei
finanzieller Kompensation ist zumindest dem Grunde nach über das
Bestehen des Anspruchs zu entscheiden".
Beschluß
vom 02.03.1999, 1 BvL 7/91, S. 30 des Umdrucks.
Dieser
Wortlaut bezieht sich, das sei zugestanden, direkt nur auf
Eigentumsbeschränkungen und nur auf Verwaltungsakte. Nur darum ging es
aber im entschiedenen Fall. Die Ausführung des
Bundesverfassungsgerichtes dürfte aber nach staatshaftungsrechtlichem
Verständnis Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens sein. Über
Kompensation (Ausgleich, Entschädigung) muß zugleich mit dem
Eingriffsakt entschieden werden.
Beschränkungen gezogener oder noch nicht gezogener, aber sich
aufdrängender Nutzungen dürften regelmäßig Eingriffe entweder in
eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetriebe (Fischer,
Kiesabbauunternehmer, Windmüller etc.) oder jedenfalls der allgemeinen
Handlungsfreiheit (Schiffahrtstreibende, Segler etc.) darstellen.
Wenn der
Staat gezogene Nutzungen einschränkt oder künftige Nutzungen unmöglich
macht und dabei, wie sich die Rechtsprechung ausdrückt, das Maß des
nicht nur Unerheblichen überschreitet, so hat er sich mit derselben
Intensität um die Kompensation für seine Bürger zu kümmern, wie um die
Beschränkungen, die er ihnen auferlegt.
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In der
Anhörung ist betont worden, daß politisch entschieden worden sei, die
Verfahren von Schutzgebieten in der Ausschließlichen Wirtschaftszone
besonders dringlich voranzutreiben.
Wir halten
vor diesem Hintergrund nationale Alleingänge für verfehlt, zumal auch
die europäische Wirksamkeit des Schutzes innerhalb des Netzes NATURA
2000 von der Kohärenz abhängig ist. Die Folge solcher Alleingänge wären
Wettbewerbsverzerrungen und -benachteiligungen für deutsche Unternehmen
mit Interessen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone gegenüber den
europäischen und außereuropäischen Nachbarn und Konkurrenten.
Durch eine
Harmonisierung sowohl der Verfahren als auch der Schutzkriterien wie
auch der Beschränkungen jedenfalls mit den entsprechenden Maßnahmen in
Dänemark, den Niederlanden sowie im Vereinigten Königreich ist deshalb
Sorge für Wettbewerbsgleichheit zu tragen.
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Insbesondere die Auswahl der FFH-Gebiete steht und fällt mit der
Definition der Lebensraumtypen in Anhang I FFH-RL. Sie haben im Rahmen
der Anhörung ausgeführt, derartige Definitionen seien vom Bundesamt für
Naturschutz ausgearbeitet worden. Sie würden den Rahmen des "Intepretation
Manual of European Habitats" ausfüllen und diesem nicht widersprechen.
Es sei
darauf hingewiesen, daß sich nach der Präambel zu Anhang I FFH-RL aus
dem Interpretation Manual lediglich eine "Orientierungshilfe" für die
Auslegung ergibt. Insbesondere der Lebensraumtyp 1170 "Riffe" könnte
also beispielsweise ohne weiteres im Sinne der naturwissenschaftlich
anerkannten Riffdefinition verwendet werden, die auf Charles Darwin
zurückgeht und als "Riff" nur das bezeichnet, was ein
Schiffahrtshindernis ist. Würde eine solche Definition gewählt, fiele
die bisher vorgeschlagene Auswahl in sich zusammen.
Wir haben
dies angeführt, um ein Extrembeispiel zu benennen. Solange nicht
europaweit Klarheit über die Definition der Lebensraumtypen besteht,
solange entstehen bei extensiver Definition Wettbewerbsverzerrungen.
Für die im
Arbeitskreis Eigentum und Naturschutz zusammengeschlossenen Verbände und
Institutionen sowie deren Mitglieder
und mit
freundlichen Grüßen
Dr. Giesen |