Die Pflicht
folgt nicht aus der Begriffsdefinition nach § 10 Abs. 1 Ziffer 9. BNatSchG.
Das Wort "vorkommen" in dieser Norm ist nicht mit dem besetzten Begriff des
"Vorkommens" zu verwechseln.
Es heißt dazu in
den einschlägigen, auch von der LANA anerkannten, Auslegungshinweisen der
Europäischen Kommission zu Art. 6 FFH-RL wörtlich (Ziffer 4.5.3):
"Die
Informationen, die gemäß dem von der Kommission ausgearbeiteten
Standarddatenbogen übermittelt werden, nutzen die Mitgliedstaaten als
Grundlage für die Festlegung der Erhaltungsziele für das Gebiet".
Wenn die
Europäische Kommission also von Grundlage spricht, geht sie selbst nicht davon
aus, daß sich die Erhaltungsziele umfassend (im Sinne einer "1 : 1 -
Umsetzung" ...) auf die Informationen im Standarddatenbogen beziehen.
So heißt es denn
in den Auslegungshinweisen nur wenige Zeilen zuvor auch konkretisierend
weiter:
"Immer dann,
wenn die Nennung von Lebensraumtypen des Anhangs I oder Arten des Anhangs II
als "nicht erheblich" im Sinne des Datenbogens angesehen wird, sollten diese
nicht als zu den "Erhaltungszielen für das Gebiet" gehörig eingestuft
werden. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, neben den
Informationen über die in Anhang II genannten bedeutenden Arten der Fauna
und Flora, Angaben über andere bedeutende Arten der Fauna und Flora (Punkt
3.3 im Standarddatenbogen) vorzulegen. Diese Informationen spielen aber bei
der Festlegung der Erhaltungsziele für ein Gebiet keine Rolle".
Daraus folgt:
Bezugspunkt für
alle Angaben ist nach Ansicht der Europäischen Kommission "das Gebiet". Mit
dem Zuschnitt des "Gebietes" kann gearbeitet werden; hier haben die
Mitgliedstaaten großen Spielraum.
In den
Erläuterungen zum Standarddatenbogen (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften vom 24.04.1997 Nr. L 107/20 ff.) bestimmt die Europäische
Kommission nicht, wann ein Lebensraumtyp oder eine Art "vorkommt". Es werden
lediglich Ausfüllhinweise zu den ökologischen Angaben gegeben. Vielmehr wird
(Seite 28 sub 3.1) von einem "prozentualen Flächenanteil" gesprochen, den ein
Lebensraumtyp von der Fläche des Gebiets "einnehmen" muß. Dabei wird
ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, daß ein Lebensraumtyp in einem
bestimmten Gebiet "nicht signifikant vorhanden ist". In diesem Fall ist er im
Standarddatenbogen mit der Wertung "D" anzugeben.
Entsprechendes
gilt für Arten, bei denen notiert werden soll, ob und wann sie in dem Gebiet
"anzutreffen" sind. Auch hier besteht die Möglichkeit, daß eine Population in
"nicht signifikanter Art" auftritt.
Festzuhalten ist
also, daß nicht jedes Vorkommen maßgeblich, sondern, vielmehr daß eine
Bewertung des Vorkommens gefragt ist. In diesem Sinne ist also § 10 Abs. 1
Ziffer 9. BNatSchG zu verstehen.
Davon geht auch
die Literatur aus. Es heißt bei Apfelbacher/Iven (Naturschutz,
Landschaftspflege, Stand Juli 2005, § 10 BNatSchG Rz. 30):
"Bezugsgegenstand der Erhaltungsziele sind die Biotope und Arten, für deren
Erhaltung und Wiederherstellung das jeweilige Gebiet in das Netz NATURA 2000
eingefügt wird. ... Zu berücksichtigen sind jeweils aber nur die Biotope und
Arten, deren Vorkommen signifikant und entsprechend im Standarddatenbogen
eingetragen ist. "Nicht signifikante" Vorkommen, d.h. für das Schutzziel des
Gebietes nicht bedeutsame fragmentarische oder sehr kleinflächige
Restvorkommen eines Biotops oder einer Art, die für die Gebietsaufnahme in
das Netz "NATURA 2000" keine Bedeutung haben (im Standarddatenbogen unter
3.1 mit "D" bewertet), sind von den Erhaltungszielen nicht erfaßt".
Sogar bei
Gassner (BNatSchG, 2. Auflage, § 10 Rz. 8), sonst ein "Frontmann" der
Naturschutzverbände, heißt es:
"Art. 6 Abs. 3
FFH-RL spricht ausdrücklich von "den für dieses Gebiet festgelegten
Erhaltungszielen". Folgerichtig schreibt daher Art. 4 Abs. 4 FFH-RL vor, daß
die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung
oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes ... und für
die Kohärenz des Netzes NATURA 2000 sowie danach festgelegt werden,
inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind. Es
kommt also auf gebietsgerechte Dezision (Spezifizierung, Abstufung,
Differenzierung) an ... Ein Ziel ist eine Soll-Größe, keine Ist-Größe".
Die Festlegung
von Erhaltungszielen dürfte im übrigen eine der Maßnahmen sein, für die Art. 2
Abs. 3 FFH-RL vorgibt:
"Die aufgrund
dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von
Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen
Besonderheiten Rechnung ".
Es ist deshalb
nicht nur vertretbar, sondern sogar zu fordern, daß die Erhaltungsziele in
einem Akt wertender Erkenntnis gebietsspezifisch definiert werden und daß die
zuständige Naturschutzverwaltung sich hierbei ihres Spielraumes bewußt ist.