Rundschreiben 3/2006


Der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Novellierung des Landesnaturschutzgesetzes Schleswig-Holstein (Stand: 28.02.2006)

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Eine erste Durchsicht

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu prüfen ist, ob der vorgelegte Gesetzentwurf einen wirksamen Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft und zur Deregulierung leistet:

  1. Übergangsvorschriften - Die Sicherung des bürokratischen Status Quo

  1. Alle Verordnungen, insbesondere Natur- und Landschaftsschutzverordnungen, die jetzt gelten, bleiben in Kraft (§ 70). Für Naturschutzverordnungen übernimmt § 71 den geltenden § 58 b). Für Landschaftsschutzgebiete lockert § 72 den geltenden § 58 c) nur geringfügig. Bei bestehenden Natur- und Landschaftsschutzgebieten bleibt es also im wesentlichen beim überkommenen Regelungsbestand.

  2. In den Presseverlautbarungen ist hervorgehoben worden, die Landschaftsrahmenplanung falle weg. Das ist unzutreffend. § 76 ordnet die Fortgeltung der Landschaftsrahmenpläne und der Grünordnungspläne bis zur Veröffentlichung eines neuen Landschaftsprogrammes bzw. bis zur Aufstellung eines Bauleitplanes an. Da in allen Planungsräumen die Landschaftsrahmenpläne erst vor kurzem neu gefaßt wurden, ändert sich de facto nichts. Ein Rückschnitt der Planungsdichte ist nicht erkennbar.

  3. In den Presseverlautbarungen ist ebenso angekündigt worden, die Sukzessionsbiotope (§ 15 a) Abs. 1 Nr. 10 des geltenden Gesetzes) sollten abgeschafft werden. § 77 ordnet jedoch die Fortgeltung des Verbotes für Zerstörung und erhebliche Beeinträchtigung (§ 25) für längstens vier Jahre nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes an. Es bleibt also vorgeschrieben, für eine Innutzungsnahme von Sukzessionsbiotopen Ausgleich, Ersatz oder Ersatzzahlung (Kompensation) zu erbringen.

  4. Nicht einmal Altgenehmigungen bleiben unberührt. § 74 ermächtigt zur Anordnung nachträglicher Nebenbestimmungen. Da genehmigte Eingriffe in die Natur typischerweise Dauerhandlungen sind (Kiesabbau, Torfabbau, Wasserhaltung etc.) werden Investitionsentscheidungen der Unternehmer wieder in Frage gestellt.

  1. Mindestdichten linearer und punktförmiger Landschaftselemente

Nach § 5 Abs. 2 setzt das Umweltministerium die zur Vernetzung von Biotopen erforderlichen Mindestdichten von linearen und punktförmigen Elementen fest und schreibt sie fort. Eine verbindliche Vorgabe der Landschaftsgestaltung nach bürokratisch vorgegebenen „Mindestdichten“ ist jedoch abzulehnen.

  1. Kein Huckepack-Verfahren

§ 10 verschärft die Eingriff-/Ausgleichsregelung. Die Eingrifs-/Ausgleichsregelung bleibt ein Generalgenehmigungstatbestand für alles Wirtschaften in der Natur. Das sog. „Huckepack-Verfahren“ wird, obwohl dies der bundesrechtliche Rahmen zuläßt und in anderen Bundesländern auch gängig ist, nicht gewählt. „Huckepack-Verfahren“ bedeutet, daß die Naturschutzbehörden nur dann Kompetenzen haben, wenn das Fachrecht (Baurecht; Wasserrecht etc.) Genehmigungstatbestände regelt; an diesen hängt die Eingriffs-/Ausgleichsregelung dann huckepack dran. Eine „Huckepack-Regelung“ würde die Kompetenzen der Naturschutzbehörden wirksam beschneiden. Alleinzuständigkeiten der Naturschutzbehörden gäbe es nicht mehr.

Ein Nachteil für die Natur wäre mit der Huckepack-Regelung nicht verbunden. Ohnehin sind gravierende Eingriffe nach Fachrecht genehmigungsbedürftig; Minimaleingriffe können vollständig genehmigungsfrei gestellt werden. Dies würde Freiräume öffnen.

  1. Landwirtschaftsklausel

Die Landwirtschaftsklausel in § 10 Abs. 2 Ziffer 5 sollte statt auf die „Bodennutzung“ schlicht auf die „Nutzung“ abstellen; sonst würde nur die tägliche Wirtschaftsweise freigestellt. Auch Nutzungen, die nur einmal jährlich oder gar im Abstand mehrerer Jahre erfolgen, müssen indes von der Eingriffs-/Ausgleichsregelung freigestellt werden, wenn sie Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft dienen. Beispiele sind etwa die Anlage forstlicher Gatterungen, die Anlage von Weihnachtsbaumkulturen, Tiefenumbrüche in der Ackerwirtschaft etc.

  1. Versagungsvoraussetzungen

§ 11 Abs. 3 regelt, unter welchen Voraussetzungen die Eingriffsgenehmigung bindend zu versagen ist. Notwendig wäre demgegenüber eine Regelung, die die Voraussetzungen nennt, unter denen die Genehmigung bindend zu erteilen ist.

  1.  UNB Superprüfungsbehörde

§ 11 Abs. 3 Ziffer 3 zwingt die Naturschutzbehörde zur Genehmigungsversagung, wenn dem Eingriff „andere öffentlich-rechtliche Rechtsvorschriften oder Erfordernisse der Raumordnung entgegenstehen“. Die Vorschrift zwingt die Naturschutzbehörde, das öffentliche Fachrecht und die Ziele und Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung zu prüfen. Die Naturschutzbehörde wird damit zur Superprüfungsinstanz.

  1. Artenschutzverschärfung

§ 11 Abs. 4 importiert aus dem wegen des EuGH-Urteils vom 10.01.2006 ohnehin erheblich in der Diskussion stehenden bundesunmittelbaren (§ 11 BNatSchG) Artenschutzrecht ohne Grund strenge Genehmigungserfordernisse in die Eingriffs-/Ausgleichsregelung. Für einen Eingriff bei streng geschützten Arten werden „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ vorausgesetzt. Da der Gesetzentwurf zudem mit Ortsbezug auf die „dort lebenden" Individuen abstellt, dürfte ein eingriffsbetroffener Lebensraum ‑ eben für die dort lebenden streng geschützten Arten - nie ersetzbar sein.

Streng geschützte Arten gibt es ‑ anders als der Wortlaut nahelegt ‑ außerordentlich viele. Die Begriffsdefinition in § 10 Abs. 2 Ziffer 11. BNatSchG umfaßt Arten, die

  • in Anhang A der Europäischen Handelsüberwachungsverordnung,

  • in Anhang IV der FFH-Richtlinie

und

  • in der Bundesartenschutzverordnung nach § 52 Abs. 2 BNatSchG aufgeführt sind,

beispielsweise:

  • Feldhamster,

  • Fischotter,

  • Haselmaus,

  • Nerz,

  • Schweinswal,

  • zahlreiche in Wäldern weit verbreitete Fledermausarten,

  • Rotbauchunke,

  • Laubfrosch,

  • Kammolch,

  • Lachs,

  • Finte,

  • viele Libellen- oder Schmetterlingsarten,

  • die gemeine Flußmuschel,

  • zahlreiche Vogelarten wie etwa

  • Eisvogel,

  • Brachpieper,

  • Trauerseeschwalbe,

  • Weißstorch,

  • Wachtelkönig,

  • Mittelspecht,

  • Zwergschnäpper,

  • Bekassine,

  • Uferschnepfe,

  • Blaukehlchen,

  • Brachvogel,

  • Grünspecht,

  • Säbelschäbler,

  • Kiebitz,

  • und Pflanzen, wie etwa

  • Moorbinse,

  • Strandwinde,

  • Rautenfarn,

  • Teichrosen,

  • violette Schwarzwurzeln,

  • Wilder Wein

und viele, viele weitere.

Nur die wenigsten Vorhaben, regelmäßig wohl staatliche Vorhaben, können für sich in Anspruch nehmen, „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ gerechtfertigt zu sein. Alle anderen Vorhaben haben keine Chance zur Genehmigung, wenn die genannten Arten auf der Fläche im Spiel sind.

  1. Verschärfte Sanktionierung für Schwarzeingriffe

Bei ungenehmigten Eingriffen kann die Naturschutzbehörde nach § 14 nicht nur die ungenehmigte Eingriffshandlung als solche ‑ das wäre nachvollziehbar -, sondern „jede Nutzung“ untersagen. Ordnungsbehördliches Einschreiten wird zur Strafe.

  1. Landschaftsschutzverordnungen

Landschaftsschutzgebiete sind entgegen den Ankündigungen als Schutzkategorie nach wie vor geregelt (§ 18), obwohl sie etwa durch die Ökologisierung des Baurechts, aber auch aus vielen anderen Gründen völlig überflüssig geworden sind.

  1. Verfahrensverschärfungen

Das Verfahren zum Erlaß der Schutzverordnungen (§ 23) wird verschärft. So soll etwa die Öffentlichkeitsbeteiligung ausfallen, wenn eine bestehende Verordnung an NATURA 2000 ‑ Erhaltungsziele angepaßt werden soll (§ 23 Abs. 5 Ziffer 5.). Da verbreitet schon geschützte Flächen für NATURA 20000 ausgewählt wurden (Beispiel: erste Tranche FFH-Gebiete; viele Landschaftsschutzgebiete), in denen erst die Anpassungen der Verordnungen an die NATURA 2000 ‑ Erhaltungsziele Nutzungseinschränkungen bringen, greift dies besonders hart ein. Das Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren bei der NATURA 2000 ‑ Gebietsauswahl war (insbesondere bei der ersten und der zweiten Tranche) nach rechtlichen Maßstäben ungenügend; nun wird erneut ohne Kenntnis der Betroffenen „der Sack zugemacht“.

Nach Ziffer 6. soll die Öffentlichkeitsbeteiligung auch unterbleiben, wenn nach einer ersten Runde der Beteiligung der Entwurf einer Verordnung nochmals erweitert werden soll. Das Belastungsmaximum muß jedoch am Anfang des Beteiligungsverfahrens zur Diskussion gestellt werden. Danach darf im Verfahren nicht „draufgesattelt“ werden, um die sog. „Anstoßfunktion“ des Verfahrens zu gewährleisten. Anderenfalls besteht die Gefahr einer Überrumpelung der Betroffenen.

  1. Neue gesetzlich geschützte Biotope

§ 25 Abs. 1 führt als gesetzlich geschützte Biotope neu ein:

  • Borstgrasrasen,

  • Wälder und Gebüsche trockenwarmer Standorte,

  • sub-littorale Sandbänke der Ostsee,

  • Knicks,

  • und Alleen.

Der Wortlaut des Verbotstatbestandes wechselt von der „Veränderung des charakteristischen Zustands“ zur „sonstigen erheblichen Beeinträchtigung“. Nach der Gesetzesbegründung aber sollen sich alter und neuer Verbotstatbestand entsprechen. Die Tatsache, daß sich der Begriff der „erheblichen Beeinträchtigung“ einheitlich durch viele Vorschriften des neuen Gesetzes zieht, bedeutet zwar einerseits eine begrüßenswerte sprachlich-technische Vereinfachung; es ist aber darauf zu achten, daß der Schlüsselbegriff die Verbotsdichte nicht erhöht. Diese Gefahr besteht, weil die „erhebliche Beeinträchtigung“ als zentrales Tatbestandsmerkmal des NATURA 2000 ‑ Schutzregimes sehr breit ausgelegt wird, also viele Handlungen erfaßt, die besser frei blieben. Das Bundesamt für Naturschutz etwa hat in mehreren, je viele hundert Seiten starken Publikationen den Begriff der „erheblichen Beeinträchtigung“ sehr erweitert. Eine ähnliche Tendenz wird in den sog. Auslegungshinweisen der Europäischen Kommission zu Art. 6 FFH-RL verfolgt. Dem ist landesrechtlich gegenzuwirken.

  1. Ermächtigung für Schutz-, Pflege und Bewirtschaftungsmaßnahmen

§ 25 Abs. 3 Ziffer 2. enthält eine Verordnungsermächtigung zur Regelung der zulässigen und erforderlichen Schutz-, Pflege- und Bewirtschaftungsmaßnahmen. Eigentümern kann danach nicht nur eine Unterlassung auferlegt werden. Eigentümer können auch zur Duldung von Fremdmaßnahmen verpflichtet oder sogar zur Vornahme aktiver Handlungen gezwungen werden.

  1. Gesetzliches Veränderungsverbot für Europäische Vogelschutzgebiete

§ 29 Abs. 2 Satz 1 führt ein gesetzliches Verbot für die Europäischen Vogelschutzgebiete nach Absatz 1 ein. Verboten sind u.a. alle Veränderungen, die zur erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen (nur) können. Eine solche auch für Private geltende gesetzliche Veränderungssperre hat flächendeckend weitreichende Wirkungen und ist völlig unverhältnismäßig. Sie geht über das nur Behörden bindende in faktischen Vogelschutzgebieten geltende Belästigungsverbot aus Art. 4 Abs. 4 VSRL hinaus. Auch wenn es für die Verwaltung mühsam ist: Wenn überhaupt, dann müssen für die Europäischen Vogelschutzgebiete tatbestandlich auf den Einzelfall angepaßte, individuell abgewogene Schutzregelungen gefunden werden. Pauschalverbote („Käseglocken“) kurbeln die Wirtschaft nicht an.

Maßgeblich für den Verbotsinhalt werden i.ü. die Erhaltungsziele, deren Formulierung zum Rechtstext wird und damit ein demokratisches und grundrechtsschützendes Rechtsetzungsverfahren voraussetzt.

Es wird daran erinnert: Schon die gesetzlich geschützten Biotope unterliegen verfassungsrechtlichen Zweifeln, was die Erkennbarkeit ihres Vorliegens und der Verbotsreichweite angeht. Das Problem wird beim Pauschalverbot für ganze Gebiete verschärft. Die freiheitssichernde Funktion von Verordnungs- oder Verwaltungsaktsverfahren wird umgangen.

  1. Vergrößerungsermächtigung für Vogelschutzgebiete

§ 25 Abs. 3 Ziffer 2 enthält eine Ermächtigung, durch Verordnung die Gebietsabgrenzung „anzupassen“, also auch, die Gebiete zu vergrößern.

  1. GVO-Verbot für FFH- und Vogelschutzgebiete

§ 31 führt eine Neuheit in das NATURA 2000 ‑ Schutzregime ein. Wer die land-, forst- oder fischereiwirtschaftliche Nutzung von rechtmäßig in Verkehr gebrachten Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, beabsichtigt, der hat dies der zuständigen Naturschutzbehörde anzuzeigen. Die Behörde darf die Nutzung dann „für unzulässig erklären“. Nach dieser Formulierung etwa unterliegen die üblichen Jute-Säcke für Saat- oder Pflanzgut dem Verbotsvorbehalt.

  1. Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen

Erheblich ausgeweitet werden die Möglichkeiten zur Festlegung von Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen auf geschützten Flächen (§ 33).

  1. Wenig Hilfe für Stegbesitzer

Die gebundene Rechtsfolge der Genehmigungserteilung für Stege (§ 45 Abs. 1 Satz 3) wird durch ihren Tatbestand ausgehebelt („wenn naturschutzrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen“).

Die Zulassungskonzentration ist unzureichend. Wenn schon eine eigenständige Steggenehmigung eingeführt wird, dann muß sie wenigstens das Wasser- und das Baurecht konzentrieren.

  1.  Beauftragte / Beiräte

Das ganze Beauftragten- und Beirats(un)wesen bleibt leider unbeschnitten (§ 54 ff.).

  1.  Stiftung Naturschutz

Die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein bleibt leider unbeschnitten (§ 57).

  1. Verbandsbeteiligung

Die Verbandsbeteiligung bleibt leider unbeschnitten (§§ 58 ff.)

  1. Duldungspflichten

§ 62 enthält eine erheblich erweiterte Duldungspflicht für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Insbesondere müssen die Maßnahmen selbst dann geduldet werden, wenn sie zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzung des Grundstücks führen (Abs. 2 Satz 1).

  1. Ausnahmen nach Ermessen

§ 64 Abs. 1 beläßt die Erteilung von Ausnahmen im Ermessen der Naturschutzbehörden. Hier ist eine gebundene Rechtsfolge („sind Ausnahmen zuzulassen“) vorzusehen.

Der Gesetzgeber kann ermuntert werden, sich nicht allzu sklavisch an den Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes zu halten; die Föderalismusreform sieht eine weitreichende Abweichungsbefugnis der Länder von bundesrechtlichen Regelungen vor.

Fazit:

Die Landesregierung kündigte neue Impulse für die Wirtschaftsentwicklung im ländlichen Raum durch eine Wettbewerbsstärkung der Landwirtschaft als wichtigen Investor an (Koalitionsvertrag vom 16.04.2005, Zeile 2457). Dazu sei eine Überarbeitung des Landesnaturschutzgesetzes mit dem Ziel der Deregulierung und des Bürokratieabbaus vereinbart (Koalitionsvertrag, Zeilen 2851 ff.).

Im Wahlkampf sind noch sehr viel deutlichere Versprechungen gemacht worden.

Gegen das geltende Landesnaturschutzgesetz führten 37 Abgeordnete des seinerzeitigen Landtages aus den Fraktionen von CDU und FDP ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Die CDU-Landtagsfraktion legte Ende des Jahres 2002 den Entwurf  für ein modernes Landesnaturschutzgesetz vor. Im Vorwort heißt es:

„Naturschutz in Schleswig-Holstein soll wieder Freude machen ! … Entwicklung setzt Bereitschaft zur Veränderung voraus ! Dazu gehört, daß man auch einmal alte Zöpfe abschneidet“.

Programmatisch hieß es seinerzeit in § 1 Abs. 2:

„Eigentum und die Wahrnehmung der sich daraus ergebenden Verantwortung sind die beste Voraussetzung zur Erreichung der Ziele gemäß § 1 Bundesnaturschutzgesetz“.

Diesen hehren Vorgaben wird der nunmehrige Gesetzentwurf nicht gerecht. Die Reformabsichten sind als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der jeden programmatischen Aufbruch vermissen läßt. Der Gesetzentwurf scheint gemacht von der Verwaltung für die Verwaltung. Es ist bezeichnend, daß die Unteren Naturschutzbehörden vorrangig Gelegenheit hatten, sich in den Entwurf einzubringen.

Das technische Feilen am Bestand der geltenden Vorschriften hat sich gelohnt. Die Biologenlyrik des geltenden Gesetzes wird Vergangenheit. Vorgelegt ist in hoher technisch-handwerklicher Präzision ein scharfes Schwert für eine lückenlose staatliche Kontrolle alles Wirtschaftens mit der Natur.

Selbstverständlich gibt es einige Neuerungen (Genehmigungsfiktion § 13 Abs. 4 Satz 1, Vollständigkeitsfiktion § 13 Abs. 2 Satz 4, Vorbescheid § 13 Abs. 7, Denkmalsvorbehalt § 15 Abs. 6 etc.). Das ist anzuerkennen und ausdrücklich zu loben. Die meisten Neuerungen vollziehen aber nur das nach, was teils schon im geltenden Gesetz angelegt ist (Öko-Konto), teils zum Altbestand bewährter Regelungen in anderen Bundesländern gehört (Verzicht auf Grünordnungspläne) und teils Vereinfachungen nur für die Behörden, nicht aber für die Betroffenen schafft. Beispiele sind etwa der gesetzliche Schutz von NATURA 2000 ‑ Gebieten (§ 29), mit dem sich eine hoffnungslos im Sumpf der NATURA 2000 ‑ Regelungen versackte Ministerialbürokratie Freiräume zurückerobern will. Dies geschieht durch Pauschalschutz, der eine zugegeben mühevolle, aber alleine angemessene individuelle Umsetzung des Schutzregimes in jedem Einzelfall ersetzen soll. Bootsliegeplätze und Sportboothäfen (§ 45) bleiben über zwei Seiten geregelt, weil die für das Wasserrecht zuständige Abteilung im Umweltministerium und weil das Wirtschaftsministerium mit Arbeit verbundene Zuständigkeiten in diesem Bereich ablehnten.

In der Gesetzesbegründung ist von zwei Zielen die Rede:

  • Wiederherstellung von Handlungsspielräumen für die Verwaltung (S. 89)

  • zügige Umsetzung des europäischen Naturschutzrechtes (S. 91).

Der Entwurf erfüllt beide Ziele in einem falsch verstandenen Sinne: Handlungsspielräume werden mit dem Entwurf zu Eingriffsbefugnissen in Freiheit und Eigentum. Im Interesse einer zügigen Umsetzung des Europarechts werden das Primärziel einer „1 : 1 ‑ Umsetzung“ und die aktive Suche nach Spielräumen zur Flexibilisierung der Rechtsanwendung vernachlässigt.

Die Wirtschaft im Lande, Eigentümer, Kommunen und sonst Betroffene, erwarten einen Aufbruch, der nur durch Streichen und Weglassen, durch den Mut zur Lücke geweckt werden kann. Es besteht die einmalige Chance, zu einem versöhnlichen Miteinander von Eigentum und Naturschutz zurückzufinden. Es besteht eine Chance, zusammenzuführen, was zusammen gehört ‑ Ökonomie und Ökologie. Nutzen wir sie.

gez. Dr. Giesen


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